Aufgeregt kommt eine Grundschülerin nach der Schule zu ihrer Oma, zieht sie nah zu sich heran und sagt, sie müsse ihr etwas beichten. In Religion hätten sie nämlich einen Zettel bekommen, den sie zerschneiden sollten, dann eine Geschichte gehört und schließlich als Hausaufgabe aufbekommen, das Bild auf dem Zettel wieder zusammenzusetzen und auszumalen. Leider aber habe sie die Schnipsel schon zuvor in den Müll geworfen und könne nun ihre Hausaufgabe nicht machen.
Die Oma hört sich alles an, versteht, warum die Enkelin zu ihr kommt und es nicht ihren Eltern sagen will. Außerdem fragt sie nach, um welche Geschichte es sich denn handelte. Die von einem römischen Offizier, der auf einen armen, frierenden Mann traf, dann sein Schwert zückte und damit seinen Mantel teilte. Die Geschichte von Sankt Martin also.
Da die Oma selbst pensionierte Religionslehrerin ist, denkt sie kurz nach und kramt dann in ihrem Schrank, in dem sie etliche Erinnerungen an ihre Schulzeit aufbewahrt. Unter anderem eben die Kopie eines Kirchenfensters, das Sankt Martin zeigt, als Puzzle. Die Enkelin erkennt es, strahlt übers ganze Gesicht, kann nun doch noch ihre Hausaufgaben machen, ohne dass jemand etwas bemerkt.
Ja, eine wahre Geschichte, die gerade vor ein paar Tagen passiert ist. Was sagt sie uns? Dass viele Unterrichtsmaterialien schon seit dreißig Jahren unverändert genutzt werden? Okay, das vielleicht auch. Vor allem aber zeigt sie doch, wie zeitlos manche Geschichten sind und vor allem auch, dass christliche Werte sich eben niemals ändern.
Vielleicht ist das Teilen heute sogar wichtiger als noch vor dreißig Jahren, vielleicht ist Rücksichtnahme anderen gegenüber heute mehr als je zuvor ein Thema in unserer Gesellschaft. Darüber können wir nachdenken, wenn Großeltern, Eltern und Kinder zu Martinsumzügen mit Laternen durch den Ort ziehen oder Kinder am Martinstag, am Samstag an den Türen klingeln und nach Süßigkeiten fragen.
Christian Dolle