Am Mittwoch, 3. Mai, ab 19 Uhr lädt der Kirchenkreis Harzer Land zu einer dritten Veranstaltung zum Thema „Selbstbestimmtes Sterben“ ins Kirchenzentrum am Schossplatz in Osterode ein.
Gast ist der Theologe, Ethiker und Gerontologe Dr. Heinz Rüegger. Wir haben ihm vorab einige Fragen zu seinem doch recht emotionalen, brisanten und komplexen Thema gestellt.
Herr Dr. Rüegger, können Sie für jemanden, dem das Thema völlig fremd ist, kurz definieren, was selbstbestimmtes Sterben meint?
Normalerweise meinen die Leute immer, selbstbestimmtes Sterben bedeute assistierten Suizid, also wenn jemand unter Begleitung und mit der Hilfe Dritter einen geplanten Suizid begeht. Das ist aber ein grosses Missverständnis. Selbstbestimmtes Sterben weist darauf hin, dass unter den real existierenden Bedigungen einer modernen Medizin Menschen in der Mehrzahl medizinisch begleiteter Sterbefälle erst sterben, wenn vorher beschlossen worden ist, dass man jetzt medizinisch das Sterben zulässt und nicht mehr weiter dagegen ankämpft, obwohl man das noch könnte. Und der Entscheid, dass jetzt der Zeitpunkt zum Sterben da sei, also auf lebensverlängernde Massnahmen zu verzichten sei, liegt ganz bei der betroffenen Person. Wir müssen heute also in vielen Fällen selber entscheiden, wann wir sterben wollen – nicht nur, wenn wir einen assistierten Suizid begehen wollen.
Warum glauben Sie, dass es wichtig ist, dass in der Öffentlichkeit über dieses Thema diskutiert wird?
Weil viele Menschen sich gar nicht im Klaren sind, dass Sterben heute weitgehend in unsere eigene Entscheidungsmacht gegeben ist. Das ist ein Mehr an Freiheit gegenüber früher, viele empfinden solches Entscheidenmüssen allerdings als eine Überforderung. Damit muss man sich auseinandersetzen.
Warum ist der assistierte Suizid immer noch ein Tabuthema, über das so selten in größerem öffentlichen Rahmen geredet wird?
Der assistierte Suizid ist ein Tabuthema, weil Suizide in unserer Kultur und massgeblich geprägt durch kirchliche Lehrmeinung über Jahrhunderte als eine grosse Sünde betrachtet wurde. Man ging davon aus, dass nur Gott, der sog. Herr über Leben und Tod, entscheiden dürfe, wann das letzte Stüdlein gekommen sei. – Allerdings ändert sich das. Bei uns in der Schweiz ist der Assistierte Suizid kein Tabuthema und geniesst grosse gesellschaftliche Akzeptanz. Aber es ist wichtig zu verstehen: Assistierte Suizide sind nur eine – zahlenmässig äusserst geringe – unter verschiedenen Formen selbstbestimmten Sterbens, die zu den Optionen heutigen Sterbens gehören.
Ist es für Sie ein medizinisches, ein juristisches, ein ethisches oder ein theologisches Thema oder gar alles zusammen?
Natürlich kann man selbstbestimmtes Sterben unter allen drei Aspekten als relevantes Thema diskutieren.
Nach den Thesen Ihres Vortrags möchte ich nicht fragen, dazu dient ja die Veranstaltung selbst, aber können Sie einige kurze Stichworte nennen, um was es am 3. Mai gehen wird?
Um die Frage, wie wir damit umgehen, dass wir heute so oder so, ob wir das gut finden oder nicht, selbst über unser Sterben bestimmen müssen, so dass wir das als verantwortlich zu lebende Freiheit, nicht als Überforderung empfinden.
Für wen, denken Sie, lohnt sich ein Besuch der Veranstaltung?
Für alle Menschen, die sich ernsthaft mit dem Sterben und dem modernen Gesundheitswesen auseinandersetzen wollen.
Mögen Sie verraten, wie Sie persönlich zu diesem Thema kamen?
Als Ethiker, Theologe und Gerontologie in einem Diakoniewerk mit Krankenhaus und Altersinstitutionen beschäftigte ich mich jahrzehntelang alltäglich mit den Bedingungen, unter denen heute gestorben wird.
Vielen Dank für das Interview.
Christian Dolle