Völlig besoffen stolpert der Schauspieler David Aschinger im Forum der BBS II in Osterode herum, ranzt die Anwesenden an, ob ihm vielleicht mal jemand in die Jacke helfen könne. Niemand steht auf, niemand rührt sich, alle blicken erstarrt auf den in der letzten Stunde immer aggressiver gewordenen Betrunkenen oder starren betreten auf den Boden.
David Aschinger ist Schauspieler. Er ist Alkoholiker. Durch die Sucht ist seine Beziehung in die Brüche gegangen und beruflich muss er alle Aufträge annehmen, die er überhaupt noch bekommt. Und David Aschinger ist eine Rolle. Die Haupt- und einzige Rolle im Stück „Flasche leer“ von Thilo Reffert. Dargestellt wurde er in Osterode von Felix Meyer.
Der war selbstverständlich nicht betrunken, spielte aber extrem überzeugend jenen Schauspieler, der selbst die Rolle eines Alkoholikers spielen soll und dabei sein eigenes Leben, sein Leben mit der Sucht, seinen Abstieg reflektiert. Der Tod seiner Mutter. Eine Rolle in Shakespeares Hamlet, die er verlor, weil er bei der Probe nicht nüchtern war. Rechtfertigungen, dass Alkohol bei großen Künstlern wie ihm eben dazugehört. Schuldzuweisungen an alle, die sein Potenzial nicht erkennen. Vehementes Leugnen seines Problems.
All diese Facetten stellte Felix Meyer bedrückend glaubwürdig dar, zeigte mit David einen nicht unbedingt sympathischen, aber auf jeden Fall authentischen Charakter und gleichzeitig im Grunde auch einen typischen immer tieferen Weg in die Sucht. Ein Ein-Personen-Stück, das dem Darsteller wie auch dem Publikum viel abverlangte.
Dazu eingeladen hatten der Förderkreis L.O.S. (Leben ohne Sucht) und die Fachstelle für Sucht und Suchtprävention im Kirchenkreis Harzer Land im Rahmen der Aktionswoche Alkohol. Leiterin Rieke Miessalla begrüßte die Zuschauenden und leitete nach dem Stück mit Simone Jörg auch die Diskussion darüber. Die war in jedem Fall nötig, denn nicht nur die Szene mit der Jacke war in höchstem Maße beklemmend und für einige nur schwer erträglich. „Die ganze Zeit habe ich überlegt, ob ich aufstehen und helfen soll, aber sagte mir dann, dass es ja zum Stück gehört“, sagte jemand.
In diesem Falle war das klar. Doch Felix Meyer spielt das Stück oft auch vor Schülern, die zuvor nicht wissen, dass David Aschinger nur eine Rolle ist. Dort sind die Reaktionen darauf dann noch intensiver und emotionaler. Genau das sollen sie, denn dieses Stück will aufrütteln. Genaugenommen soll es auch dazu aufrütteln, Menschen, die ein erkennbares Problem mit dem Konsum von Alkohol haben zu helfen.
„In der Geschichte Davids hätte es an vielen Stellen Möglichkeiten zum Helfen gegeben“, ließ Simone Jörg den Abstieg noch einmal Revue passieren. Kollegen, die Freundin, viele hätten darauf dringen können, sich professionelle Hilfe zu suchen. Sucht ist nun einmal als Krankheit zu sehen, bei der es professionelle Hilfe – wie die der Fachstelle – braucht. Das machte dieses Theaterstück an diesem Abend sehr deutlich.
Christian Dolle